Poetry Machine (version 1.0)
Eine Installation von David Link

1.

"In den Diskurs hätte ich mich gerne verstohlen eingeschlichen. Anstatt das Wort zu ergreifen, wäre ich von ihm lieber umgarnt worden, um jedes Anfangens enthoben zu sein. Ich hätte gewünscht, während meines Sprechens eine Stimme ohne Namen zu vernehmen, die mir immer schon voraus war. Ich wäre es dann zufrieden gewesen, an ihre Worte anzuschließen, sie fortzusetzen, mich in ihren Fugen unbemerkt einzunisten, gleichsam, als hätte sie mir ein Zeichen gegeben, indem sie für einen Augenblick aussetzte."

Der Besucher betritt einen halbdunklen Raum. Über eine Leinwand fließt der Text, den niemand schreibt. Die Tasten der Tastatur davor bewegen sich wie von Geisterhand. Eine monotone, mechanische Stimme verliest den generierten Text, Satz für Satz.

Ohne die Nähe von Zuschauern schreibt das System schnell und flüssig. Buchstabengewitter. Ohne Unterlaß folgt ein Wort auf das andere. Nähern sich Besucher, gerät der Textgenerator ins Stocken, zögert, verstummt zeitweilig ganz. Das System überläßt dem Betrachter den Schauplatz, lädt ihn ein, selbst in die Tasten zu greifen. Gibt dieser Worte ein, erscheint sein Text wie der der Maschine auf der Leinwand. Poetry Machine nimmt den Text auf und beginnt ausgehend von seinen Worten zu assoziieren. Der Strom von Texten im Wechselspiel zwischen der Maschine und ihrem Benutzer reißt nicht ab.

Kommen in der Eingabe Worte vor, die Poetry Machine noch unbekannt sind, entsendet das Programm autonome „Bots" ins Internet, um entsprechende Informationen zu beschaffen. Sie bewerten das vorgefundene Material und füttern die Daten zurück an das System. Der Suchprozeß der "Bots" kann auf einer zweiten Leinwand verfolgt werden. Die besuchten Internet-Sites, ihre Bewertung sowie die gefundenen Dokumente werden hier dargestellt.

Was Poetry Machine generiert, ist stets verschieden und jedes Mal neu. Das Programm vermag deshalb auch seinen Programmierer zu überraschen. Es variiert nicht ein Autor seine Sätze, um Abwechslung zu erzeugen und schreibt sie statt auf Papier auf die Festplatte einer Maschine. Wenn die Maschine startet, ist ihre Datenbank leer. Poetry Machine beginnt als tabula rasa. Das Programm enthält lediglich Routinen zur Prozessierung von Text, keine hartkodierten Datensätze. Poetry Machine verarbeitet Texte menschlicher Autoren und extrahiert deren assoziative Verbindungen. Ihre hauptsächliche Informationsquelle sind hierbei die gigantischen Textmengen des Internets. Hier schaut Poetry Machine dem vernetzten Volk aufs Maul. In den resultierenden semantischen Netzwerken sind Worte vor allem durch die Verbindung zu ihren Nachbarn definiert. Ein Netzwerk verfügt über durchschnittlich 50.000 Verbindungen zwischen 10.000 Worten. Je öfter das System die Verbindung zweier Worte beobachtet, desto stärker wird die Bahnung zwischen ihnen. Wird ein semantisches Netz dadurch, daß der Benutzer ein Wort eingibt, angeregt, folgt die Energie besonders starken Bahnungen und findet so assoziativ verwandte Worte. Das sich ergebende Material wird in syntaktische Rahmen eingefügt, die ebenfalls den eingelesenen Texten entnommen werden. Die chaotische Komplexität des Netzwerkes reduziert sich auf die einfache Linearität des Textes. Ein Faden wird aus dem Knäuel gezogen. Die gefundenen Worte dienen als Ausgangspunkt neuer Assoziationen, die so lange erfolgen, bis der Benutzer das System durch eine neuerliche Eingabe unterbricht.


2.

"Mit den Jahren und Ideen werden nun freilich - da ich den ganzen Tag mit Hochzeitstexten und Brautfackeln am Traualtare stehe und nichts tue als Ideen kopulieren - die Soldaten- und Priesterehen und die Ehen im verbotenen Grade zwischen besagten Gedanken so anwachsen und sie alle so untereinander verschwistern und verschwägern, gleich europäischen Höfen, daß im ganzen Kopf für Geld kein geschiedenes Ideen-Paar zu erfragen ist und daß ich in lauter Gleichnissen rede, fluche, bete und zanke."

Ich hätte gewünscht, während meines Sprechens eine Stimme ohne Namen zu vernehmen, die mir immer schon voraus war. Anonym. Wort aus keinem Mund. Chor, vielstimmiges Gemurmel, das Antwort gibt, ohne daß eine Frage gestellt worden wäre.

Ahornbeschattete Terasse eines Cafés, die Sonne malt helle runde Kreise auf Tische und Stühle, Samstagsidylle. Da plötzlich züngelt Lauffeuer. Einer hat ein Wort gesagt, der Wind trägt es den Ohren aller anderen zu. Stille. Und Post. Der Laut wird von Gehör zu Gehör gereicht wie eine Tagesparole. Schibboleth. Anderen Mündern, die nicht an sich halten können, entfallen andere Worte, alle nehmen auch sie auf. Myriaden von Feedbackloops, immer schneller läuft der Wortprozessor, immer heißer, die Wortmünze wird geschluckt, sofort eine andere ausgespuckt, Ringlein Ringlein du mußt wandern, geschluckt, wieder ausgespuckt, geschluckt, jetzt ein lautes, ein tosendes Stimmengewirr, in dem die Stimmen sich mischen, ineinander übergehen und neue Worte, unvorhergesehene Sätze ergeben, die wiederum nicht ohne Abnehmer, ohne Echo und Antwort bleiben, ausgespuckt geschluckt, ein erhitzter, atemloser Tausch, die Gäste kreisen nunmehr in zunehmender Geschwindigkeit umeinander wie Planeten einer Galaxie, wie Zahnräder eines Uhrwerks, wie räudige Hunde, als tanze man auf Börsenparkett, eine euphorische rauschende Hochzeit, Hausse, der bacchantische Taumel, an dem kein Glied nicht trunken ist, berauscht von den Klängen seltenster, exotischer, nie gehörter Worte, sie geben sich den ausgefallensten Vergnügungen hin, bis der reißende Strom urplötzllich seine Quelle wieder erreicht, ahornbeschattete, der Vorrat an Spielsteinen ist erschöpft, ab jetzt läuft die Zeit rückwärts, hammirschon, die Sprache überschlägt sich, Worte purzeln Bäume, die Quelle verschluckt den Strom, reißende Vergnügungen ausgefallenster Worte etc..; das System läuft rund, die Hitze ist mittlerweile unerträglich geworden, Sprache brennt ab, die Gesellschaft nähert sich schnellen Schrittes dem kollektiven Kollaps, in einem Feuersturm wird ihr Lallen zusehends sinnlos, Kindergestotter, rauschender Nonsens, lärmendes Rauschen, sinnloser Lärm. The great fact emerges that after that historic date all holographs so far exhumed initialled by Haromphrey bear the sigla H.C.E. and while he was only and long and always good Dook Umphrey for the hungerlean spalpeens of Lucalizod and Chimbers to his cronies it was equally certainly a pleasant turn of the populace which gave him as sense of those normative letters the nickname Here Comes Everybody.

Wort fällt-- Foto fällt-- Straßen aufrollen. Maschine dreht durch.. das Realitätsstudio stürmen.. die Bandmaschine läuft.. Durchbruch in den Grauen Raum... Foto fällt, Wort fällt. Der Realitätsfilm gibt nach und beult sich aus wie ein Schott kurz vor dem Bersten.. die Zeiger stehen auf HYPER ..Eingänge freikämpfen Wortverbindungen durchschneiden.. die Zeitmaschine dreht durch und setzt wahnwitzige Befehle und Gegenbefehle ab - elektrische Stürme der Gewalt fegen über den Planeten - Staatschefs drehen ihre Bildstrahlen auf und versuchen die Welt mit billigen Kopien zu überschwemmen - Die wiederum werden von Anti-Bildern hinweggefegt.. was ist das bloß für ein Scheißapparat hier - Wo schaltet man denn hier um? - Ah da - Bitte kommen.

Der Virus, der Sprache heißt, ist endlich ausgerottet. Ich stand an der Küste & redete mit der Brandung: bla bla.

Niemand. Spricht. Niemand. Schreibt. Meinen berühmten Namen, Kyklop? Du sollst ihn erfahren. Aber vergiß mir auch nicht die Bewirtung, die du verhießest! Es rechnet im Hintergrund. Der Feuersturm hat alle Scrabblesteine abgelöscht in schwarzem Schmelz, die Luft in hiesigen Gefilden ist so dünn geworden, daß der Äther keinen Schall mehr trägt. Du bewegst die Mundöffnung, könnte ich Lippen lesen. Merci, je vais bien, je vous emprie.

Panisches Hämmern auf den Schädel des anderen, wenn nichts mehr geht. Ich bekomme den Mund nicht auf, die Kiefer schieben sich in entgegengesetzte Richtungen. Daß es mir das Gesicht zerreißt, mittendurch. Daß. Es. Mir den Zahn aus dem Kiefer bricht. Es. Kennt keine Gnade. Es. Kennt den Menschen nur als Toten. Es, oh, Es. Geht seinen Gang.

Am Nullpunkt. Auf dem Bildschirm weniger als Schneegestöber. Pixel, schwarz und weiß, flimmern im Fernseher ohne Kanal, der den Raum, die zusammengesunkene Gestalt auf dem Sofa, bläulich flackernd erhellt. Die Verteilung der Pixel ist sinnlos. 25 Bilder pro Sekunde, voneinander unabhängige Ereignisse, geschehen. Faszinierende, leuchtende Fläche des Unsinns, Tor zu einer anderen Welt.

Ich presse mein Ohr an das Modem, lausche dem Stakkato des Rauschens, dem rhythmischen Fiepen, Unterhaltung zwischen zwei Maschinen, bereits antiquiert. Spräche ich ihr Morse:

- 220 khm.de ESMTP Sendmail 8.9.1a/8.9.1; Thu, 23 Aug 2001 14:03:43 +0200 (MDT)
- HELO mail.khm.de
- 250 khm.de Hello celeronx2-1.khm.de [194.95.161.61], pleased to meet you

Man muß weiterreden, ich kann nicht weitermachen, man muß weiterreden, man muß Wörter sagen, solange es welche gibt; man muß sie sagen, bis sie mich finden, bis sie mich sagen - befremdende Mühe, befremdendes Versagen; man muß weiterreden; vielleicht ist es schon getan, vielleicht haben sie mich schon gesagt, vielleicht haben sie mich schon an die Schwelle meiner Geschichte getragen, an das Tor, welches sich schon auf meine Geschichte öffnet (seine Öffnung würde mich erstaunen).

Seit den 60er Jahren versucht die Forschung im Bereich Künstlicher Intelligenz ängstlich, die Dimension des Sinns durch das sinnferne Rauschen der Maschinen hindurchzuretten, denen alles gleich gilt. Die zusehends analphabetisierte Bevölkerung wohnt blinzelnd bei.

Nach dem Sturm, hinter dem Spiegel: Hier liegt ein ausgedehntes, von Kräften verlassenes Feld, in dem alles möglich und gerade deshalb nichts wirklich ist. An Stelle der Enge der Skripte und Rahmen ist eine Weite getreten, die schwer zu zügeln ist. Diesem Rauschen entnimmt Poetry Machine etwas, stellt es zur Sprache.

(Zitate von: Michel Foucault, Aristoteles, Martin Luther, Jean Paul, der Bibel, G. W. F. Hegel, Daniel Paul Schreber, James Joyce, William S. Burroughs, Heiner Müller, Homer, Jean-Luc Godard)



Poetry Machine

Poetry Machine

Project info: Poetry Machine (version 1.0). Eine Installation von David Link.
Technical support: Stefan Doepner, Lars Vaupel (f18), Robert O'Kane.
Coproduced by: ZKM, Karlsruhe; Neue Galerie, Graz.
Supported by: KHM, Köln.